Publikationen - Point-Newsletter
Point «Aktuelle Biotechnologie» Februar 2024 (Nr. 260)
- Erster Schweizer Freilandversuch mit CRISPR-Gerste
- Genomeditierte Kartoffeln gegen die Krautfäule
- Gentherapie lässt taube Kinder erstmals hören
- Forschende in China entwickeln neuartige Genschere
29.02.2024
Neue Züchtungsverfahren: Erster Schweizer Freilandversuch mit CRISPR-Gerste
Bereits in wenigen Wochen sollen erstmals genomeditierte Pflanzen auch in der Schweiz im Freiland wachsen. Bei den Gerstenpflanzen wurde mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas9 gezielt ein Gen ausgeschaltet, das an der Regulation der Samenbildung beteiligt ist. Bei Reis und Raps bewirkten derartige Veränderungen, die auch natürlich vorkommen können, eine Steigerung des Ernteertrags. Jetzt soll auf dem Versuchsfeld der Forschungsanstalt Agroscope in Zürich-Reckenholz während drei Jahren untersucht werden, ob auch die genomeditierte Gerste unter Praxisbedingungen auf dem Feld höhere Erträge liefert. Zugleich wird geprüft, ob die genetische Veränderung auch andere Eigenschaften der Pflanzen beeinflusst. Über 860 Forschungsprojekte weltweit setzen die neuen Züchtungsverfahren der Genomeditierung bereits ein, um verbesserte Nutzpflanzen zu entwickeln. Etwa fünfzehn genomeditierte Pflanzen stehen kurz vor der Markteinführung, mindestens fünf werden in anderen Weltregionen schon angebaut. Das Europäische Parlament hatte sich am 7. Februar 2024 deutlich dafür ausgesprochen, mit Hilfe neuer Züchtungsverfahren entwickelte Pflanzen von den restriktiven Bestimmungen für «gentechnisch veränderte Organismen» auszunehmen, sofern sie sich nicht von herkömmlichen Pflanzen unterscheiden. Damit soll ihr Anbau in der EU ermöglicht werden. Ziel dabei ist, das Lebensmittelsystem sowohl nachhaltiger als auch krisenfester zu machen. Auch in der Schweiz nimmt die Diskussion über den Einsatz genomeditierter Pflanzen Fahrt auf. (mehr…)
Pflanzengesundheit: Genomeditierte Kartoffeln gegen die Kraut- und Knollenfäule
Über 170 Jahre ist es her, dass die Kraut- und Knollenfäule der Kartoffeln in Irland eine verheerende Hungersnot auslöste. Die Pilzkrankheit kann ohne Gegenmassnahmen innerhalb kürzester Zeit ganze Felder und auch das Erntegut vollständig zerstören. Auch heute noch ist sie die weltweit wichtigste Kartoffelkrankheit. Die jährlichen Kosten für Ernteschäden und Krankheitsbekämpfung liegen um die 10 Milliarden US$. Die wichtigste Gegenmassnahme gegen die Ausbreitung der Krankheit heutzutage ist die Verwendung von Fungiziden. In der Schweiz müssen Kartoffelfelder etwa sieben- bis achtmal jährlich behandelt werden. Trotz langjähriger Züchtungsanstrengungen konnten sich noch keine pilzresistenten Kartoffeln am Markt durchsetzen. Hier bieten neue Züchtungsverfahren wie die Genomeditierung die Chance, beliebte und am Markt etablierte Kartoffelsorten mit einer verbesserten Pilzresistenz auszustatten. So können Ernteverluste reduziert und Pflanzenschutzmittel eingespart werden. Gleich zwei Forschungsgruppen, aus China und dem Iran, berichten dieses Jahr bereits über erfolgreiche Ansätze dazu. In beiden Fällen schalteten die Forschenden mit dem CRISPR/Cas9 Verfahren Kartoffelgene aus, welche am Infektionsprozess beteiligt sind. Das steigert die Resistenz der Pflanzen gegen den Befall. Gerade für weniger wohlhabende Länder bietet die Genomeditierung grosse Chancen für die Entwicklung krankheitsresistenter Sorten und einen nachhaltigeren Pflanzenschutz. (mehr…)
Medizin: Gentherapie lässt taube Kinder erstmals hören
Etwa eines von 500 Babys ist bei der Geburt taub. In vielen Fällen sind genetische Mutationen die Ursache dafür. Jetzt zeigen klinische Studien, dass durch eine Gentherapie die Funktion eines veränderten Gens wiederhergestellt werden kann. Mehrere Kinder konnten so erstmals seit ihrer Geburt hören und die Umwelt ohne Hilfsmittel akustisch wahrnehmen. Die betroffenen Kinder waren zuvor fast oder völlig taub, weil bei ihnen das Eiweiss Otoferlin von Anfang an seine wichtige Funktion im Innenohr nicht erfüllt hatte: Während alle für das Hören erforderlichen Strukturen vorhanden waren, war die Weiterleitung der Impulse an den Hörnerv blockiert. Bereits wenige Wochen nach dem Einschleusen der intakten Erbinformation für Otoferlin in das Innenohr mit Hilfe ungefährlicher Adenoviren als Genfähre konnten mehrere der Kinder erstmals eigenständig Geräusche hören und darauf reagieren. Dazu gehörten die Stimme der Eltern, aber auch Musik und Umgebungsgeräusche. Nach einigen Monaten war ein Grossteil des Hörvermögens wiederhergestellt, einige der Babys begannen erste Worte zu sprechen. Die Forschenden waren erstaunt, wie schnell und wie wirksam die Gentherapie war. Ernste Nebenwirkungen wurden bisher nicht beobachtet, allerdings fehlen noch Langzeiterfahrungen. Auch kommt die jetzt vorgestellte Therapie nur bei den etwa 5% der erblichen Fälle von Gehörlosigkeit in Frage, bei denen das Otoferlin-Eiweiss betroffen ist. Der Ansatz zeigt aber das grosse Potenzial der Gentherapie auf, durch die in Zukunft auch andere genetische Ursachen der Taubheit angegangen werden können. (mehr…)
Genomeditierung: Forschende in China entwickeln neuartige Genschere
Die Möglichkeit, das Erbgut von Lebewesen präzise an vorbestimmten Stellen zu schneiden, ist die Grundlage für die Genomeditierung und die präzise Genchirurgie. Voraussetzung dafür sind biotechnologische Werkzeuge, welche gewünschte Positionen im genetischen Material erkennen und an dieser Position einen Schnitt einfügen. Es gibt spezifische Eiweisse, welche diese Funktion erfüllen (z. B. TALENs), aber auch Kombinationen von Eiweissen mit einer kurzen Nukleinsäurekette zur Programmierung (z. B. CRISPR/Cas9). Ein grosses chinesisches Forschungsteam hat jetzt eine dritte Option ins Spiel gebracht, welche ein grosses Potenzial für eine noch einfachere und schnellere Anwendung hat: HYER. Die Abkürzung steht für «hydrolytisches endonukleolytisches Ribozym». Es handelt sich um eine Kette von etwa 600 Ribonukleotid-Bausteinen ganz ohne Eiweiss-Komponente. Dadurch sind HYER wesentlich kompakter als programmierbare Genscheren mit Eiweiss-Komponente, lassen sich dadurch einfacher produzieren und auch mit weniger Aufwand in Zellen einbringen, um dort ihre Aufgabe zu verrichten. Die Forschenden liessen sich bei der Entwicklung von der Natur inspirieren: In Bakterien kommen ähnliche Ribozyme vor, die ebenfalls Erbmaterial an spezifischen Positionen spalten können. Basierend darauf gelang es, durch Anpassungen der Sequenz verschiedene Schnittpositionen zu programmieren. Mit weiteren technischen Verbesserungen könnten HYER zu einer vollwertigen Alternative zu den etablierten Genscheren ausgebaut werden. (mehr…)
Text und Redaktion: Jan Lucht, Leiter Biotechnologie (jan.lucht@scienceindustries.ch)