Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences

Dossiers - Beziehungen zur EU

30 Jahre EU-Binnenmarkt: Bedeutung für die Schweiz

Der EU-Binnenmarkt stellt seit seinem 30-jährigen Bestehen den bedeutendsten ausländischen Markt für die Schweizer Wirtschaft dar. Ein freier Zugang ist vor allem für Chemie Pharma Life Sciences überlebenswichtig. Hierfür müssen langfristig tragfähige Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU gewährleistet sein.

22.03.2023

Der Binnenmarkt der Europäischen Union (EU) feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. 1993 gegründet, hebt der Binnenmarkt die EU auf globaler Ebene zur wirtschaftlichen Grossmacht an. Er basiert auf den sogenannten «vier Freiheiten», die den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Menschen und Kapital im gesamten Gebiet des Binnenmarktes garantieren. Dies erleichtert das tägliche Leben, stimuliert Wachstum und Wohlstand und fördert den Austausch und die Innovation.

Etablierung des EU-Binnenmarktes als globale Wirtschaftsmacht
Mit dem Vertrag von Maastricht und der Gründung der Europäischen Union wurde 1993 der europäische Binnenmarkt gegründet. Gehörten ihm anfänglich zwölf Länder an, ist er mittlerweile auf 27 EU-Mitgliedstaaten angewachsen. Zudem nehmen Island, Liechtenstein und Norwegen seit 1994 über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) am EU-Binnenmarkt teil. Die Schweiz regelt den Zugang bilateral mit der EU.

Heute vereinigt der EU-Binnenmarkt 447 Millionen Menschen, 23 Millionen Unternehmen und generiert ein BIP von 14.5 Milliarden Euro, was im Jahr 2021 18 Prozent des weltweiten BIP darstellte, hinter den USA (24 Prozent) und gleichauf mit China (18 Prozent). Der Binnenmarkt macht die EU zu einem der wichtigsten internationalen Handelspartner. Bürger und Unternehmen, die am EU-Binnenmarkt teilhaben können, profitieren von Dienstleistungen und Produkten mit einheitlichen und — auf globaler Ebene gesehen — hohen Standards zu wettbewerbsfähigen Preisen.

Bedeutung des EU-Binnenmarktes für die Schweiz
Die Schweiz ist in erster Linie eine Exportnation – ihre Volkswirtschaft ist in hohem Masse auf den Aussenhandel ausgelegt. Über die letzten Jahre betrugen die jährlichen Handelsüberschüsse rund CHF 40 Milliarden. Der Abbau von Handelshemmnissen zum EU-Binnenmarkt spielt deshalb eine zentrale Rolle, zumal die Schweiz am Handelsvolumen gemessen mehr als die Hälfte ihres Warenhandels mit der EU abwickelt (58 Prozent im Jahr 2021).

Als nicht-Mitglied der EU regelt die Schweiz den Zugang zum EU-Binnenmarkt über unterschiedliche bilaterale Abkommen, um durch Beseitigung von Handelshemmnissen binnenmarktähnliche Verhältnisse zu schaffen. Im Jahr 1992 lehnte das Schweizer Stimmvolk einen Beitritt zum EWR ab, womit der Weg der bilateralen sektoriellen Abkommen eingegangen werden musste. Mit den Bilateralen I (1999) und den Bilateralen II (2004) wurde ein weitgehender gegenseitiger Marktzugang garantiert und Diskriminierungen von Schweizer Unternehmen und deren Produkten auf dem EU-Binnenmarkt wurden entfernt.

Bedeutung des EU-Binnenmarktes für Chemie Pharma Life Sciences
Mit einem Anteil von über 48 Prozent der gesamten schweizerischen Exportleistungen sind die Industrien Chemie Pharma Life Sciences der Exportmeister der Schweiz. Auch ihr wichtigster Absatzmarkt ist der EU-Binnenmarkt mit einem Anteil von knapp 48 Prozent, während importseitig mit 71 Prozent der Löwenanteil der eingeführten chemisch-pharmazeutischen Produkte aus der EU stammt. Für den chemisch-pharmazeutische Industriezweig sind insbesondere folgende Aspekte von Bedeutung:

  • Technische Handelshemmnisse: Das Abkommen über den Abbau technischer Handelshemmnisse zwischen der Schweiz und der EU (Bestandteil der Bilateralen I) ist für den Chemie- und Pharma-Standort Schweiz essenziell. Mit dem Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (engl.: Mutual Recognition Agreement, kurz: MRA) werden die Marktzutrittsbedingungen in den EU-Markt erleichtert und Diskriminierungen auf Schweizer Produkte eliminiert. Für Schweizer Unternehmen senkt dies zusätzlich Kosten sowie den administrativen Aufwand – bei Chemie und Pharma aufgrund von Inspektionsanerkennungen.
  • Personenfreizügigkeit: Die chemisch-pharmazeutische Industrie der Schweiz ist mit rund 40 Prozent Anteil an den privaten Investitionen in Forschung und Entwicklung überaus forschungsintensiv und innovationsstark. In Anbetracht des Fachkräftemangels in den MINT-Bereichen sind diese Industrien umso mehr auf hoch qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Ausländische Arbeitskräfte sind bei den Mitarbeitenden mit Hochschulabschluss sowie in der Forschung und Entwicklung stark vertreten. Die Standortqualität und das Wachstumspotenzial sind davon abhängig.
  • Forschungszusammenarbeit: Doch nicht nur als Absatz- und Fachkräftemarkt ist die EU für die Schweiz von hoher Bedeutung, auch im Bereich der Forschung ist der Schweizer Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort auf die europäische Zusammenarbeit angewiesen. Das Forschungsprogramm Horizon Europe ist das weltweit grösste Forschungs- und Innovationsförderprogramm. Schweizer Forschende gehörten bislang bei den jährlich vergebenen, renommierten ERC Starting Grants zu den Spitzenreitern. Bei der Ausschreibung von 2021 hat der europäische Forschungsrat elf Auszeichnungen an ETH-​Forschende im Wert von rund CHF 17 Millionen vergeben.

Abbruch der Verhandlungen und dessen Folgen
Neben den sektoriellen Abkommen arbeiteten die EU und die Schweiz daran, mittels eines Rahmenvertrags — sogenanntes Institutionelles Rahmenabkommen (InstA) — grundlegende institutionelle Fragen zu klären. Aufgrund von Differenzen verkündete der Bundesrat im Mai 2021 jedoch den Abbruch der Verhandlungen. Seitdem spüren alle Sektoren der Exportwirtschaft die fehlende Planungs- und Rechtssicherheit.

Denn bei einer voranschreitenden Erosion der Beziehungen zwischen Schweiz und EU drohen neue Handelshemmnisse. Ein Wegfallen des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) oder nur schon ein Einfrieren dieses Abkommens würde einen erheblichen Mehraufwand für Schweizer Unternehmen nach sich ziehen. Für die chemisch-pharmazeutische Industrie entstünden zusätzliche Kosten für die Zertifizierung von Anlagen und Produktchargen. Die Kosten dieser Duplizierung werden auf rund CHF 500 Millionen pro Jahr geschätzt. Mit Anpassungen von MRA-Richtlinien seitens der EU und der Weigerung, das MRA-Abkommen zu aktualisieren, wird der Marktzugang von Schweizer Unternehmen markant erschwert. Die Medtech-Branche hat bereits entsprechende Erfahrungen machen müssen.

Mit dem Abbruch der Verhandlungen wurde die Schweiz beim Forschungsprogramm Horizon Europe zudem zum Drittstatt heruntergestuft. Die fehlende vollständige Assoziierung an Horizon Europe schadet der Forschung und Innovation und somit letztlich der Schweizer Innovationskraft. Für die Schweiz ist es schwieriger geworden, Spitzenforschende zu akquirieren. Denn diese können beispielsweise keine Projektführung im Rahmen von Horizon Europe übernehmen oder Awards samt Fördergelder bei den ERC-Grants beziehen. Ausserdem würde ein Kollaps der Personenfreizügigkeit den bereits vorherrschenden Fachkräftemangel aggravieren und den Forschungs- und Innovationsbereich einschneidend treffen.

Langfristig tragfähige Beziehungen notwendig
Über die letzten Jahrzehnte hat sich die Schweiz als globale Forschungs- und Innovationshochburg etabliert. Die Industrien Chemie Pharma Life Sciences haben für die Schweizer Exportwirtschaft eine hohe Tragweite. Industrie und Forschung sind auf geregelte Verhältnisse zur EU angewiesen.

Dementsprechend erhoffen sich Wissenschaft und Wirtschaft eine baldige Aufnahme von Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU, sodass langfristig tragfähige Beziehungen und damit Rechts- und Planungssicherheit geschaffen werden. Barrierefreier Marktzugang, angemessene Personenfreizügigkeit sowie eine vollständige Assoziierung an europäische Forschungsabkommen sind zentral für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Eine Lösungsfindung mit dem wichtigsten Handelspartner ist nun drängender denn je.


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