Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences

Dossiers - Beziehungen zur EU

Vollständige Assoziierung an Horizon Europe unverzichtbar

02.08.2023

Seit 1987 nehmen Schweizer Forschende an den EU-Rahmenprogrammen für Forschung und Innovation teil. Seit 2004 war unser Land vollassoziiert und damit gleichberechtigter Forschungspartner. Seit 2021 werden wir – dies als direkte Sanktion des einseitigen Abbruchs der Verhandlungen über das Institutionelle Rahmenabkommen – wieder als Drittstaat behandelt, dies bereits heute mit negativ erkennbaren Auswirkungen.

Das Forschungsprogramm «Horizon Europe» ist das weltweit grösste Forschungs- und Innovationsförderprogramm. Forschende und Unternehmen aus der Schweiz haben derzeit nur eingeschränkten Zugang zu Horizon Europe. Wie ein jüngst publizierte Studie der Universität Basel zeigt, kann Horizon Europe durch bilaterale Partnerschaften alleine nicht vollständig repliziert werden.

Die Industrien Chemie Pharma Life Sciences sind ganz besonders auf Exzellenz in der Forschung, Kooperationen von akademischer und industrieller Forschung sowie die Förderung von Start-ups angewiesen. Die fehlende Vollassoziierung an Horizon Europe kostet unser Land Innovationskraft und schmälert damit das Potenzial für künftige Produktinnovationen und wirtschaftliches Wachstum.

Schweizer Unternehmen profitierten bisher
Knapp 1000 Schweizer Unternehmen haben im Programmjahr 2020 von EU-Direktförderungen profitiert – knapp hinter Österreich, aber mehr als Schweden oder Finnland. Unter Horizon 2020 ist jeder fünfte Franken aus den EU-Beiträgen an Industrie und KMU geflossen. Bei 35% der Schweizer Beteiligungen handelte es sich um Unternehmen, davon waren knapp die Hälfte KMUs.

Unternehmen aus den Bereichen Life Sciences und Pharma stellen die stabilen Hauptakteure in der EU-Forschung dar. Für verschiedene Mitgliedunternehmen von scienceindustries sind die Programmpunkte von «Horizon Europe» eine sehr relevante Quelle bei der Erarbeitung neuer Technologien, bei der Entwicklung neuer Produkte und neuer Anwendungen für bestehende Produkte. Darüber hinaus sind sie wichtig für den Zugang zu den wissenschaftlichen Netzwerken.

Negative Folgen einer fehlenden Vollassoziierung an Horizon Europe
Wie eine Publikation der EPFL jüngst darlegte, sind die unmittelbaren Auswirkungen der Nicht-Assoziierung der Schweiz mit den europäischen Programmen bereits heute sichtbar. So nimmt die Zahl der Kooperationen ab, der Zugang zu den europäischen Märkten für Schweizer Technologien wird eingeschränkt, und die ersten Start-ups verlagern einen Teil ihrer Aktivitäten ins Ausland. Es ist zu befürchten, dass sich diese negativen Auswirkungen fortsetzen werden.

Die Drittstaat-Beteiligung an Horizon, wie dies momentan für die Schweiz der Fall ist, ist mit Einschränkungen verknüpft. Nur Kooperationsprojekte sind für Drittstaaten zugänglich. Einzelprojekte sind nicht Teil davon; auch ist keine Projektleitung vorgesehen. Demzufolge ist es für die Schweiz schwieriger, Spitzenforschende zu akquirieren – einige ziehen sogar ab.

Besonders im Fokus sind die hoch kompetitiven Grants des European Research Council (ERC), die sich an herausragende Forschende richten. Schweizer Forschende gehörten bisher bei den jährlich vergebenen ERC-Grants zu den Spitzenreitern. Bei der Ausschreibung 2021 hat der europäische Forschungsrat elf Auszeichnungen an ETH-Forschende im Wert von rund 17 Millionen Schweizer Franken vergeben. Die Forschenden konnten den Award aber aufgrund der Nicht-Assoziierung der Schweiz nicht beziehen.

Finanzielle Kompensation kein Ersatz
Bei vielen vorgesehenen Horizon Europe-Projekten darf die Schweiz nicht mehr mitmachen. Bei einigen, bei denen die Schweiz teilnehmen darf, muss die Finanzierung aber vom SBFI geschehen. Der Bund, respektive das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) sehen infolge des Wegfalls der Vollassoziierung entsprechende finanzielle Mittel vor – dies ist sinnvoll.

Die Übergangsmassnahmen des Bundes über Innosuisse, SBFI, SNF und ESA ermöglichen die Beteiligung an Verbundprojekten bei Horizon Europe (vorübergehend bis zur Voll-Assoziierung). Der für Horizon Europe vorgesehene Beitrag erfolgt durch das SBFI per Übergangsmassnahmen direkt an die Schweizer Forschenden. Mittel gehen dabei keine verloren, denn die Beiträge ab 2021 wurden nicht an die EU gezahlt.

Für Schweizer Forschende sind die Beteiligungsmöglichkeiten indes eingeschränkt und umständlich. Auch kann der Wegfall von Horizon Europe nicht vollständig durch nationale Übergangs- und Ergänzungsmassnahmen kompensiert werden. Allein der Reputationsschaden durch den Wegfall der ERC Grants ist massiv.

Weitere Forschungsabkommen kein Ersatz
Kurzfristig wurde der Einbruch der Beteiligungen durch die getroffenen Massnahmen gesenkt, trotz 10-15% Senkung bei Verbundprojekten. Schweizer Hochschulen und Forschungsstätten zehren noch an alten Horizon-Projekten, aber bei den neuen Projekten (z.B. im Bereich Quantum Computing) können sie höchstens nur indirekt oder im Hintergrund beteiligt sein. Diese sind aber strategische Projekte mit zentraler Bedeutung und langfristiger Perspektive.

Weitere internationale Kooperationen sind zu begrüssen, aber keines davon ist ein Ersatz für Horizon Europe – hingegen sind sie als wichtige Ergänzung und Diversifizierung zu sehen. Überlebenswichtig ist und bleibt der Austausch und die Zusammenarbeit in den europäischen Netzwerken zwischen Wirtschaft und Wissenschaft für Forschung und Entwicklung – sowohl für MNUs als auch für KMUs und Start-ups.

Eine Verlagerung von Forschungszentren ins Ausland mit Zugang zu den besten Netzwerken schädigt letztlich die Schweizer Standortattraktivität. Langfristig würde dies auch zur Verlagerung von attraktiven Arbeitsplätzen sowie von Steuereinnahmen ins Ausland bewirken. Auch die Gründung neuer hoch-innovativer Unternehmen bzw. Start-ups würde vermehrt ausserhalb der Schweiz stattfinden.

Wieder in der «Champions League» mitspielen
Fazit: Die Schweiz profitiert nicht nur vom EU-Binnenmarkt, sondern insbesondere auch von den EU-Forschungsprogrammen. Für die Schweiz gibt es keine Alternative zum EU-Binnenmarkt, aber auch die EU profitiert von den marktteilnehmenden Ländern. Schliesslich sind die Unternehmen der Chemie Pharma und Life Sciences als wissensbasierte Industrien in hohem Masse auf eine vollständige Assoziierung an den EU-Forschungsprogrammen angewiesen.

Der Schweizer Standort kann in Zukunft nur an der Weltspitze mithalten, wenn es uns gelingt, unsere Attraktivität, Innovationskraft und Reputation als Forschungsplatz zu halten. Schlüssel dazu war und ist der Zugang zu den europäischen Forschungsprogrammen. Es ist wichtig, dass wir uns wieder auf höchstem Niveau als vollwertiges Mitglied der europäischen Forschungsgemeinschaft beteiligen können. Sie müssen aber vor allem von den Netzwerken profitieren und dafür erneut eine Führungsrolle in europäischen Forschungsprojekten übernehmen können. Die Schweizer Wissenschaft muss in der «Champions League der Forschung»  mitspielen können.

Positionspapier zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Horizon Europe

Die Europäische Kommission hat im Dezember 2022 eine öffentliche Konsultation eingeleitet, um Horizon 2020 und Horizon Europe zu bewerten und mit dem Strategieplan 2025-2027 künftige Prioritäten festzulegen. SBFI, SNF, Innosuisse, swissuniversities, die Akademien der Wissenschaften Schweiz, das Euresearch Network, ETH-Rat, der Schweizerische Wissenschaftsrat, SwissCore, Swissmem und scienceindustries haben zu diesem Positionspapier (Februar 2023) mit Fokus auf Horizon Europe beigetragen. > Zum Positionspapier


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