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Interview mit Stephan Mumenthaler: F & E in der Schweiz

Innovation

Interview mit Stephan Mumenthaler: F & E in der Schweiz

Interview mit Stephan Mumenthaler im Rahmen der Deloitte-Kampagnenstudienreihe "Power Up Switzerland" zu den Erfolgsfaktoren für die Förderung von Forschung und Entwicklung und digitaler Innovation in der Schweiz.

10.05.2022

Deloitte-Interview mit Stephan Mumenthaler über die Erfolgsfaktoren, die Forschung und Entwicklung sowie digitale Innovation in der Schweiz fördern.

Deloitte: In der durch Deloitte durchgeführten Studie „Power Up Switzerland“ wird Forschung und Entwicklung (F&E) als entscheidendes Element für die weitere Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherung des Wohlstands der Schweiz genannt. Welche unterstützenden Bedingungen und welcher Rahmen sind Ihrer Ansicht nach nötig, um F&E in der Schweiz optimal voranzutreiben?

Stephan Mumenthaler: Aktuell sind die F&E-Rahmenbedingungen in der Schweiz sehr gut. Beispiele sind das liberale Umfeld, die Netzwerke und Institutionen, die allgemeine Verfügbarkeit von Fachkräften, ausreichende öffentliche und private Finanzierung und Möglichkeiten, Spin-offs zu gründen. Aus Unternehmenssicht spielen auch die liberale Unternehmensbesteuerung und der Zugang zum Weltmarkt eine wichtige Rolle. Entscheidend für ein optimales F&E-Klima ist das Zusammenspiel all dieser Rahmenbedingungen.

Allerdings gibt es auch Punkte, die Sorgen bereiten. Die Tatsache, dass die Schweiz nicht mehr vollständig mit dem grössten internationalen Forschungskooperationsprogramm „Horizon Europe“ assoziiert ist, wird die Attraktivität der Schweiz als F&E-Standort künftig beeinträchtigen. Wir befinden uns in einem harten globalen Wettbewerb um F&E-Talente. Ohne die Beteiligung an Kooperationsprogrammen wie Horizon Europe wird es für die Schweiz noch schwieriger, erstklassige F&E-Talente anzuziehen, die sich am ehesten für Standorte mit besseren Entwicklungschancen entscheiden. Darüber hinaus könnten sich in der Schweiz ansässige multinationale Unternehmen mit weltweitem und diversifiziertem F&E-Profil entscheiden, F&E-Kapazitäten eher ausserhalb der Schweiz auf- oder auszubauen. Ein weiteres Problem ist, dass die Schweiz auch speziell in der Digitalisierung des Gesundheitssektors hinterherhinkt. Die digitalen Infrastrukturen, Datensysteme und Kompetenzen in diesem Sektor stecken im weltweiten Vergleich noch in den Kinderschuhen.

Insgesamt gesehen gibt es aber dennoch Grund zu Optimismus. Insbesondere im Bereich neuer Produkte und neuer Geschäftsmodelle ist die Schweiz als F&E-Standort gut aufgestellt. Dieses Potenzial wird – beispielsweise – an der Entscheidung von Google deutlich, weiterhin auf Zürich als F&E-Standort zu setzen.

Deloitte: Um in der Forschung erfolgreich zu sein, ist es entscheidend, die richtigen Fachkräfte anzuziehen und aufzubauen. Wie bewerten Sie den aktuellen F&E-Talentpool in der Schweiz?

Stephan Mumenthaler: Wir haben zu wenige F&E-Spezialisten – insbesondere im Bereich von IT und Digitalisierung. Die Nachfrage nach diesen Spezialisten wächst schneller als das Angebot. Für die Schweiz wird es wichtig sein, ihre Grenzen für F&E-Talente offen zu halten. Der Abbruch der Beteiligung an Horizon Europa hat in dieser Hinsicht sicherlich nicht geholfen. Auch wenn derzeit noch F&E-Spezialisten in die Schweiz kommen, kann sich das künftig sehr wohl ändern.

Bei Talenten im MINT-Bereich (Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Technik) stehen wir sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht vor Herausforderungen. Um dem zu begegnen, gründete scienceindustries vor zehn Jahren eine eigene Stiftung – SimplyScience – mit dem Ziel, bei Kindern und Jugendlichen das Verständnis für wissenschaftlich-technische Fragen zu fördern und sie dabei auch über mögliche Ausbildungs- und Laufbahnmöglichkeiten zu orientieren. Dennoch bleibt noch viel zu tun.

Obwohl ETH/EPFL ausgezeichnet für Fachkräftenachwuchs sorgen, reicht dies nicht aus. Oft müssen Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden. Auch die Vorschriften sollten geändert werden und es ausländischen Studenten mit Schweizer Abschluss einfacher machen, hier zu bleiben und zu arbeiten. In manchen Branchen wie der Pharma- und der Chemieindustrie ändern sich zudem die erforderlichen Kompetenzprofile – bei immer mehr Datenaufkommen und zu analysierenden Daten kommt es immer mehr auf Kompetenzen rund um Daten an, die entsprechend gefördert werden sollten.

Obwohl Pharmaunternehmen als Arbeitgeber sehr interessant bleiben, entscheiden sich viele MINT-Fachkräfte eher für IT- oder Technologieunternehmen wie Google, Amazon usw. Die potenziell attraktive und interessante Mischung aus Gesundheitsdaten und Daten aus dem Technologie-/Digitalbereich muss stärker in den Vordergrund gestellt werden, um diese Talente für den Gesundheitsbereich zu begeistern.

Deloitte: Einer der wichtigste Erfolgsfaktoren für hervorragende F&E-Ergebnisse ist die Etablierung einer Innovationskultur. Wie sorgen Sie für ein Umfeld, das Innovationen und F&E ermöglicht?

Stephan Mumenthaler: Eine erfolgreiche Innovationskultur stützt sich auf eine ganze Reihe von Faktoren. Dazu gehören eine internationale Aufstellung oder Orientierung mit Kooperationen über viele Standorte hinweg, eine gut koordinierte Teamleistung und die Pflege eines offenen Umfelds, in dem Innovationen Bestandteil der Unternehmenskultur sind – um nur einige zu nennen.

Auch der Austausch auf Unternehmensebene ist wichtig. Arbeitsbewilligungen müssen einfach erhältlich sein, damit Zuzüge möglich werden. Und weniger Grenzen/Vorschriften machen einen Standort attraktiver. Weniger Vorschriften bedeuten auch, dass Daten und geistiges Eigentum leichter an verschiedene Standorte weitergegeben werden können. Auch dies kommt erfolgreicher Innovation zugute.

Ein weiterer entscheidender Faktor sind Kooperationen – nicht nur intern, sondern auch mit externen Partnern wie Universitäten, Zulieferern, Kunden und anderen Unternehmen. Es sollte beispielsweise deutlich mehr Zusammenarbeit zwischen der Pharma- und der chemischen Industrie einerseits und Technologieunternehmen andererseits geben, um den innovationsrelevanten Pool von Digitaltalenten in der Schweiz auszubauen.

Deloitte: Laut manchen Beobachtern verliert die Schweiz weltweit ihren Wettbewerbsvorteil, da wir es hierzulande nicht gewohnt sind, Risiken einzugehen oder mutig auf Innovationen zu setzen. Wie beurteilen Sie dieses Thema?

Stephan Mumenthaler: Dass die Schweiz nicht wirklich für allzu grosse Risikobereitschaft bekannt ist und manche Innovationsprozesse hier etwas länger dauern, ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Andererseits haben Schweizer Innovationen auch den Ruf, sehr präzise, durchdacht und zuverlässig zu sein und ihre Zeit zu brauchen – symbolisiert durch die erfolgreiche Schweizer Uhrenindustrie. Dieser sorgfältige und durchdachte Ansatz kann auch ein grosser Aktivposten sein, der zu einem soliden Produktionsstandort passt und Rückwirkungen auf F&E, Prototypenentwicklung usw. hat.

Ohnehin sind die F&E-Teams in vielen in der Schweiz ansässigen multinationalen und grossen Unternehmen inzwischen immer globaler aufgestellt und Teil einer „internationalen Innovationskultur“, in der sich die angestrebten Attribute Risikobereitschaft, Präzision, Zuverlässigkeit usw. innerhalb eines einzigen Teams manifestieren. Die Schweiz profitiert von dieser globalen Ausrichtung der F&E.


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