Innovation & Nachhaltigkeit
Mit der Genschere zu besseren Pflanzensorten: auch in der Schweiz?
Historisch tiefe Ernten: Schweizer Bauern hatten im vergangenen Jahr aufgrund starker Niederschläge massive Ertragseinbussen. Neben dem Klimawandel machen neue Krankheiten und Schädlinge den Pflanzen zu schaffen. Innovative Züchtungsverfahren eröffnen Chancen für die Entwicklung von Nutzpflanzen mit angepassten, verbesserten Eigenschaften.
13.07.2022
Der Sommer 2021 ist vielen Hobbygärtnern noch in schlechter Erinnerung. Durch die feuchte Witterung wurden viele Tomatenpflanzen von Pilzen befallen. Oft gingen die Pflanzen ein, bevor sie Früchte produzierten. Im Privatgarten sind solche Ernteverluste ein Ärgernis. In der Landwirtschaft gefährden sie das Einkommen der Bauern und können sogar die Versorgung mit lokalen Lebensmitteln hoher Qualität beeinträchtigen.
Für die Vorbeugung von Pflanzenkrankheiten spielen widerstandsfähige Sorten eine entscheidende Rolle. Allerdings ist es gar nicht so einfach, solche Sorten zu züchten – und man braucht viel Geduld. Die Übertragung einer gewünschten Eigenschaft durch klassische Kreuzungen ist ein langwieriger Prozess, der je nach Pflanzenart mehrere Jahre bis zu Jahrzehnten dauert.
Innovative Züchtungsverfahren
Neue Züchtungsverfahren, wie der Einsatz der Genschere CRISPR/Cas9, haben in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt. Sie ermöglichen eine viel schnellere und gezieltere Entwicklung von Pflanzensorten mit besseren Eigenschaften. Beispiel Tomaten: Mit Hilfe der Genschere schalteten Pflanzenforscher bei einer beliebten Tomatensorte die Anfälligkeit gegen den Mehltau-Pilz aus. In weniger als zehn Monaten konnten sie so pilzresistente Tomatenpflanzen entwickeln, bei denen alle anderen bewährten Eigenschaften der Ursprungssorte erhalten blieben. Mit herkömmlichen Züchtungsverfahren hätte die Einführung einer Pilzresistenz bei Tomaten fünf bis sieben Jahre gedauert – und dabei wäre eine neue Sorte mit anderen, gewöhnungsbedürftigen Eigenschaften entstanden.
Für die Entwicklung von CRISPR/Cas erhielten sie 2020 den Nobelpreis in Chemie: Die amerikanische Biochemikerin Jennifer A. Doudna, links, und die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier (Photo: © EPA-EFE/Alexander Heinl)
Man kann verstehen, warum die neuen Züchtungsverfahren weltweit das Interesse der Pflanzenzüchter geweckt haben, und auch immer mehr praktische Anwendung finden. Aber wie funktioniert die «Genschere» eigentlich? Vor zehn Jahren wurde erstmals beschrieben, wie mit Hilfe des in Bakterien entdeckten Systems CRISPR/Cas9 das Erbgut von Lebewesen gezielt an vorbestimmten Stellen geschnitten werden kann. Dadurch können Erbeigenschaften verändert und unerwünschte Merkmale gezielt entfernt werden. Dieser präzise Eingriff wird als Genomeditierung bezeichnet.
Grosse Chancen mit der «Genschere»
Mit CRISPR/Cas9 lässt sich die gewünschte Schnittposition viel einfacher programmieren als mit anderen Verfahren. Die gewünschten Veränderungen können so vergleichsweise schnell und mit wenig Aufwand eingeführt werden. Die Technik ist breit verwendbar und wird bei Pflanzen, Mikroorganismen und Tieren und auch in der Medizin eingesetzt. Die beiden Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna erhielten für ihren Beitrag zur Entwicklung von CRISPR/Cas9 zum wichtigsten Werkzeug der Genomeditierung im Jahr 2020 den Nobelpreis.
Für die Pflanzenzüchtung eröffnet die Genomeditierung grosse Chancen. Über 400 Züchtungsprojekte laufen weltweit bereits. Dabei liegt der Fokus auf einer verbesserten Produktqualität wie gesünderem Pflanzenöl und auf krankheitsresistenten Pflanzen, die weniger Pflanzenschutzmittel benötigen. Auch für den Landwirt wertvolle Eigenschaften wie verbesserte Stressresistenz oder stabilere Schoten bei Raps gegen Ernteverluste werden bearbeitet. Die ersten Produkte aus genomeditierten Pflanzen sind in den USA und Japan bereits auf dem Markt.
Angemessener Rahmen für neue Züchtungsverfahren erforderlich
In vielen Fällen unterscheiden sich die Erbgutveränderungen durch Genomeditierung nicht von solchen, die spontan in der Natur oder durch klassische Züchtungsverfahren auftreten. Eine besonders strenge Regulierung für solche Pflanzen, die sich nicht von herkömmlich entwickelten Sorten unterscheiden, erscheint daher wenig sinnvoll. Immer mehr Länder passen daher ihre Bestimmungen an den wissenschaftlichen Fortschritt an, um die Chancen der neuen Züchtungsverfahren zu nutzen. In Europa dagegen werden genomeditierte Pflanzen aufgrund der veralteten gesetzlichen Bestimmungen noch als «gentechnisch verändert» eingestuft. Ein Anbau ist daher aktuell in der Schweiz gesetzlich verboten. Diese unsicheren Zukunftsaussichten blockieren die innovative einheimische Pflanzenzüchtung.
Neue Regeln auch in der Schweiz
In der Frühjahrssession hat das Parlament den Bundesrat daher beauftragt, bis 2024 Bestimmungen für den Anbau und die Einfuhr von Pflanzen aus neuen Züchtungsverfahren auszuarbeiten. Hierbei stellt sich die Frage, ob Pflanzen mit verbesserten Eigenschaften nur aufgrund ihres modernen Züchtungsverfahrens anders oder strenger reguliert werden sollen als herkömmlich gezüchtete Sorten mit identischen Eigenschaften. Importe aus dem Ausland, wo die Genomeditierung zunehmend eingesetzt wird, sind eine besondere Herausforderung. In den meisten Fällen ist es nicht möglich, durch Analysen festzustellen, ob beobachtete Genveränderungen natürlich, durch klassische Züchtung oder moderne Verfahren wie die Genomeditierung entstanden sind – eine Anforderung für unterschiedliche Regeln könnte daher kaum überprüft werden.
Dass der Schutz von Umwelt und Gesundheit die Grundvoraussetzung für die Zulassung neuer Sorten ist, steht ausser Frage. Bei der Ausarbeitung der weiteren Regeln für Pflanzen aus neuen Züchtungsverfahren stehen aber wichtige Weichenstellungen an – vor allem die Frage, ob und inwieweit die Schweiz die grossen Chancen der modernen Züchtungsverfahren für bessere Produkte und eine nachhaltigere Landwirtschaft nutzen will, und ob Innovationen auf diesem Gebiet auch bei uns möglich sein sollen oder nur im Ausland stattfinden. Dabei ist es entscheidend, die Bedürfnisse der Landwirtschaft und der Konsumentinnen und Konsumenten zu berücksichtigen und diese in die Diskussion und die Entscheidungen einzubeziehen, um fundierte Entscheidungen zum Wohle der Gesellschaft zu treffen.
Dr. Jan Lucht, Leiter Biotechnologie scienceindustries
jan.lucht@scienceindustries.ch
Dieser Artikel erschien in konsum.ch - Das Magazin des Schweizerischen Konsumentenforums Nr. 76 / 06.2022
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