Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences

Innovation

WTO-Beschluss zum TRIPS-Abkommen

Keine Ausweitung auf COVID-19-Therapeutika und Diagnostika

14.12.2022

Der WTO-Entscheid, bestimmte Vorschriften der TRIPS-Vereinbarung im Zusammenhang mit Zwangslizenzen aufzuheben, schafft einen gefährlichen Präzedenzfall und sendet ein falsches Signal an innovative Unternehmen. Um die Fähigkeit der Gesundheitssysteme, sich auf zukünftige Pandemien vorzubereiten, nicht aufs Spiel zu setzen, lehnen wir eine Ausweitung des Vakzin-TRIPS-Beschlusses auf COVID-19-Therapeutika und -Diagnostika daher entschieden ab.

Ausgangslage
Die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) haben an der 12. Ministerkonferenz (MC12) vom Juni 2022 ein umfassendes Massnahmenpaket verabschiedet. scienceindustries anerkennt die Bedeutung dieser Einigung für das Funktionieren der WTO, bedauert indes den Beschluss im Bereich des geistigen Eigentums ausserordentlich: Zwar setzt dieser nicht wie ursprünglich vorgeschlagen, die im TRIPS-Abkommen festgelegten Schutzrechte betreffend Produktion und Lieferung von COVID-19 Impfstoffen ausser Kraft, erleichtert jedoch die Bedingungen für die Erteilung von Zwangslizenzen.

Für zukünftige Pandemien ist der WTO-Beschluss zur Lockerung des Patentschutzes für COVID-19 Impfstoffe ein falsches Signal, denn damit wird der Anreiz genommen, in Forschung und Innovation zu investieren. Freiwillige Industriekooperationen und Produktepartnerschaften spielten bei der COVID-19 Impfstoffentwicklung und -versorgung eine fundamentale Rolle. Als solide rechtliche Basis für Vereinbarungen haben die Schutzrechte am geistigen Eigentum dieses beispiellos schnelle Hochfahren der Impfstoffproduktion überhaupt erst ermöglicht.

Gemäss WTO-Beschluss zum TRIPS-Abkommen betreffend COVID-19 Impfstoffe sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, innerhalb von sechs Monaten nach dem Beschluss, darüber zu entscheiden, ob dieser auf COVID-19 Therapeutika und Diagnostika ausgeweitet werden soll. Eine Annahme der Ausweitung wäre aus mehreren Gründen problematisch und würde den möglichen Anwendungsbereich und den damit verbundenen Kollateralschaden für die Industrie enorm vergrössern.

Im Folgenden sind einige wichtige Argumente dargelegt, welche über die Risken einer Ausweitung des Beschlusses zum TRIPS-Abkommen informieren. Die anschliessenden Beispiele verdeutlichen, wieviel mit MPP (Medicines Patent Pool) und freiwilliger Lizenzvergabe in der Bekämpfung der COVID-19 Pandemie auf globaler Ebene bislang erreicht wurde. Eine Anwendung von Zwangslizenzen ist hingegen kontraproduktiv.

Argumente gegen die Ausweitung des WTO-Beschlusses auf COVID-19-Therapeutika und Diagnostika

IP stellt kein Zugangshindernis dar

  • Auch nach über zwei Jahren COVID-19 Pandemie gibt es keine Hinweise dafür, dass geistiges Eigentum den Zugang zu Impfstoffen, Therapeutika oder Diagnostika behindert hat. Vielmehr bilden geistiges Eigentum und dessen Schutz die Basis für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Eine Schwächung des IP-Schutzes wird den Zugang der Weltbevölkerung zu Impfstoffen, Therapeutika und Diagnostika nicht verbessern.

IP als Garant für kontinuierliche Forschung

  • Dank eines robusten Patentschutzes war es Firmen möglich, sehr schnell und umfassend Impfstoffe und Therapeutika zu entwickeln, die strengsten wissenschaftlichen Standards entsprechen.
  • Das Patentsystem ermöglichte Investitionen in die Entwicklung und in den Ausbau der Produktion auf eigenes Risiko.
  • Die Firmen reagierten schnell und mit freiwilligen Industriekooperationen, Technologietransfers und neuen Produktepartnerschaften aufgrund der damit verbundenen Rechtssicherheit.
  • COVID-19 wird voraussichtlich nicht verschwinden. Zusätzliche Forschung ist nötig, um die Zahl von Therapeutika zu erhöhen, aufgrund des Risikos von Resistenzen gegen bestehende Behandlungsoptionen oder eines Nicht-Ansprechens.
  • Derzeit befinden sich Hunderte von Wirkstoffen in der Forschungsphase und mehrere potenzielle Therapien in der Entwicklung, mehrheitlich von kleinen Biotech-Firmen, die auf Risikokapitalfinanzierung angewiesen sind. Eine weitere Schwächung des IP-Schutzes würde zu einem unsicheren Investitionsumfeld führen mit negativen Auswirkungen auf die Pipeline von COVID-19 Therapeutika.

Spillover-Effekt auf andere Therapeutika

  • Einige der zur Behandlung von COVID-19 zugelassenen Therapeutika sind auch für andere Indikationen zugelassen oder könnten dies künftig sein. Eine Ausweitung des Beschlusses bliebe deshalb nicht auf Therapeutika gegen COVID-19 begrenzt, sondern könnte sich auf Produkte mit anderen Anwendungen auswirken, wie neue orale Antikoagulanzien, Entzündungshemmer und Antiinfektiva.
  • Gemäss Airfinity gibt es 117 COVID-19-Behandlungsprojekte, die bei 86 anderen Infektionskrankheiten eingesetzt werden. Es gibt 63 diagnostische Tests, die derzeit im Rahmen von COVID-19 verwendet werden und als Multiplex- oder "Combo"-Tests klassifiziert sind, die bei anderen Infektionskrankheiten, einschliesslich Influenza, eingesetzt werden können.

Vorhanden Strukturen nutzen

  • Sowohl freiwillige Lizenzen als auch breitere Zugangsstrategien für Therapeutika sind bereits vorhanden.
  • Die meisten COVID-19-Therapeutika, die den Markt erreicht haben, waren Gegenstand einer breit angelegten freiwilligen Lizenzierungsstrategie, auch über vertrauenswürdige Vermittler wie den Medicines Patent Pool (MPP). Eine Ausweitung des WTO-Beschlusses würde das Vertrauen und möglicherweise auch die Ressourcen untergraben, die für das Funktionieren dieser Kooperationen nötig sind.
  • Globale Zugangsstrategien für Therapeutika umfassen je nach Entwicklungsstand abgestufte Preisstrategien für die Länder.
  • Betrachtet man die gesamte Forschung und Entwicklung, so gibt es 150 freiwillige Kooperationen für Therapeutika, von denen etwa 80% einen Technologietransfer beinhalten. Diese Kooperationen beruhen auf jahrzehntelangen Investitionen des Privatsektors, die durch einen starken Schutz des geistigen Eigentums ermöglicht wurden.
  • Produkte, die im Rahmen des WTO-Beschlusses hergestellt werden, unterliegen möglicherweise keinen Qualitätskontrollen und keiner behördlichen Aufsicht, wie sie in freiwilligen Lizenzen, wie denen des MPP, vorgesehen sind.

Industriepolitische vs. humanitäre Ziele

  • Öffentliche Äusserungen von wichtigen Ministern auf der MC12 zeigten, dass diese Debatte letztlich von industriepolitischen Interessen geleitet wird. Die Länder könnten versuchen, strategisch "Notfälle im Bereich der öffentlichen Gesundheit" auszurufen, um sich Innovationen und Technologien anzueignen (mit klinischen Anwendungen, die über COVID-19 hinausgehen).
  • Europa und die Schweiz spielen eine entscheidende Rolle für die Produktion von Therapeutika mit Neuinvestitionen in mehreren europäischen Ländern. Aber auch was die Innovation betrifft: Es werden zahlreiche Kandidaten von kleinen europäischen Biotech-Unternehmen entwickelt.
  • Eine Ausweitung würde «at-risk» Investitionen in die Produktion untergraben und sich auf das breite Spektrum an Herstellungstechnologien für Therapeutika auswirken.
  • Eine Ausweitung hätte weitreichende negative Auswirkungen, einschliesslich der Erosion der industriellen Basis der EU/Schweiz, künftiger Innovationen und der Schwächung ihrer globalen Wettbewerbsfähigkeit.

MPP und freiwillige Lizenzvergabe

  • Die Lizenzierungsvereinbarung, die MPP und Pfizer unterzeichnet haben, deckt 95 Länder ab; MPP hat mit 38 Herstellern in 13 Ländern Unterlizenzvereinbarungen für die generische Version der oralen COVID-19-Behandlung von Pfizer unterzeichnet.
  • MPP und MSD schliessen eine Lizenzvereinbarung für ein orales antivirales Covid-19-Prüfpräparat ab, was Unterlizenzvereinbarungen für Lieferungen in 105 LMICs ermöglicht. Es wurden Vereinbarungen mit 27 Unternehmen in 10 Ländern unterzeichnet.
  • Im Mai 2020 gab Gilead Vereinbarungen mit neun Generikaherstellern zur Herstellung und Lieferung von Remdesivir in 127 Länder bekannt.

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